Wie trifft Corona unsere Landwirte?
Fehlende Erntehelfer, Existenzängste und viele Hilfsangebote

Region (bea) Ende April beginnt der Austrieb der Weinreben, doch: „Die polnischen Arbeitskräfte kommen nicht“, sagt Weinbauer David Klenert aus Münzesheim. Daher erwartet er in Kürze einen Engpass unter seinen Arbeitskräften. Das Glück des jungen Weinproduzenten ist jedoch, dass einer seiner erfahrenen Saisonarbeiter bereits in Deutschland ist und auch bleiben will. Eine weitere Saisonkraft wird bis zum Beginn der Arbeiten wohl nicht mehr einreisen dürfen, nimmt Klenert an. Doch dieses Loch kann er glücklicher Weise stopfen: „Wir arbeiten viel mit Gastronomiebetrieben zusammen. Einer davon hat elf Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt und uns angeboten, dass diese im Weinberg aushelfen könnten“, sagt der Weinbauer. Vor ihrem Einsatz muss Klenert diese jedoch erst einmal einarbeiten. „Jetzt muss man kreativ werden“, sagt er. Daher bietet er jeden Freitag eine Online-Weinprobe an. Klenert sieht seinen Weinbaubetrieb nicht als gefährdet an. „Sicherlich wird es bei uns auch während der Sommerarbeiten mit Ausbrechen und Heften eng“, sagt er. Doch bis zur Ernte im September werde sich die Lage hoffentlich beruhigt haben, wünscht sich Klenert. Zudem habe er viele Menschen aus Münzesheim, dazu Freunde und Bekannte, die schon bei der vergangenen Ernte geholfen haben. Um eine ausreichende Anzahl an Arbeitskräften macht er sich daher keine Gedanken.

Sorgen und Existenzängste, auch um die Familie

„Ich habe wahnsinnige Existenzängste“, sagt Gudrun Heitlinger aus Menzingen. Diese hielten sie nachts oft wach, sagt sie. Denn ihr Hofcafé ist geschlossen und die einkalkulierten Einnahmen bleiben aus. Zudem fehlen ihr die helfenden Hände: „Unsere Erntehelfer haben fluchtartig und mit dem letzten Bus das Land verlassen“, beklagt sie. Normalerweise hätte sie nun vier Saisonhelfer zur Unterstützung auf dem Hof. Diese kann sie durch die Arbeitskraft ihrer im Haushalt lebenden Familienangehörigen ausgleichen, doch: „Interessant wird es, wenn die Grünspargelernte beginnt“, sagt sie. Ende der Woche rechnet sie bereits mit den ersten zu stechenden Spargelstangen. Der Verkauf geht los, direkt ab Hof. Doch nun kommen neue Sorgen auf sie zu: „Mein Mann ist schwer Lungenkrank, daher habe ich Angst um ihn, wenn Leute auf den Hof kommen“.

„Wenn es nicht klappt, bleiben die Früchte auf dem Feld“

Ganz große Probleme sieht Heitlinger am 20. Mai auf sich zukommen. Das ist der Tag, an dem die Erdbeerernte beginnen soll. „Dann brennt es richtig“, sagt sie. Zu dieser Zeit hat sie normalerweise 15 Saisonarbeiter aus Polen auf ihrem Hof. Jetzt hat sie schon eine lange Liste mit Telefonnummern von Freiwilligen, die sie bei der Ernte unterstützen möchten. Ebenso hat die Stadt Kraichtal bei ihr angefragt und daraufhin eine Liste in der Flüchtlingsunterkunft ausgehängt, über die sich weitere Helfer melden können. „Ich bin über jedes Hilfsangebot froh und dankbar“, sagt Heitlinger. Doch das Problem sei die neuen Helfer einzuarbeiten. Das erfordere Zeit und Nerven und viel Koordination, sowie eine Menge an Organisation. „Normaler Weise bin ich ein Optimist, aber im Moment ist Land unter“, sagt Heitlinger. Daher überlegt sie, ob sie die Helfer auf ihrer Liste für den Hofverkauf kontaktieren und mit ihrer Familie die Versorgung eines zu beliefernden Lebensmittelmarktes abdecken oder alternativ das Feld zum Selbstpflücken freigeben soll. Doch so genau hat sich Heitlinger noch nicht mit der Zukunft befasst. „Zum Glück ist der 20. Mai noch so weit weg“, sagt sie erleichtert und „Wenn es nicht klappt, bleiben die Früchte eben auf dem Feld“. Als mittelständischer Betrieb kann es sich Heitlinger nicht leisten, erfahrene Erntehelfer aus dem Ausland einfliegen zu lassen.

„Wir mussten uns jetzt entscheiden“

Sobald die Erdbeersaison vorbei ist beginnt die Johannisbeeren- und Zwetschgenernte auf dem Heitlinger Hof. Zurzeit bereiten der Chefin zudem die niedrigen Preise der Erdbeeren Sorgen. „Ich brauche meine 2,50 Euro, dafür sind die Früchte nicht älter als acht Stunden“, sagt sie. Ein weiteres Problem habe sie erst vergangene Woche gelöst: „Wir mussten uns entscheiden und daher haben wir auf eigenes Risiko unsere Zierkürbisse gepflanzt. Dabei kann es sein, dass wir sie im Herbst nicht vermarkten können“. Zwar hat Heitlinger keine Angst, dass es in Deutschland in diesem Jahr zu wenig zu essen geben wird, doch für sie wäre es am Schlimmsten, wenn die Corona-Krise bis Oktober anhalten würde.

Gesetzliche Vorgaben müssen angepasst werden

Für Kollegen, die auf Erntehelfer angewiesen seien, sei die momentane Situation sehr schwierig, sagt Landwirt Alexander Kern aus Diedelsheim. Für ihn selbst hat der Einreisestopp der Erntehelfer wenige Auswirkungen. Der Absatz in der betriebseigenen Metzgerei und den Verkaufsautomaten sei leicht angestiegen, erklärt er. „Jetzt gilt es die regionalen Vermarkter zu unterstützen“, sagt Kern und „Hoffen wir, dass die Verbraucher lernen die regionalen Direktvermarkter nachhaltig zu stützen“. Allein der Mindestlohn habe dazu geführt, dass viele kleinere Betriebe in der Region aufgäben, so Kern. Gerade unter den Spargelbauern, die ihre Ware in kleinen Verkaufsständen anböten. Das führe dazu, dass es Spargel nur noch im Päckchen im Handel und meist aus dem Ausland gebe, sagt er. Eine Lösung schlägt Kern vor: „Alles, was importiert wird, müsste auch nach unseren Standards, also ohne Glyphosat und verbotene Pflanzenschutzmittel hergestellt werden“, so der Landwirt.

Eine sichere Ernte einfahren

Zwar wolle er keine Panik verursachen, da die Grenzen noch offen und Warenströme und damit die Versorgung mit Lebensmitteln gegeben seien, sagt Kern. Dennoch stellt er klar: „In Deutschland haben wir eine Eigenversorgung von 88 Prozent bei Getreide und von nur 20 Prozent bei Gemüse“. Bei der Milchproduktion liege man über 100 Prozent, so Kern. Daher gelte es jetzt alles daran zu setzen eine gute Ernte einzufahren. Dazu gehören für ihn der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Düngung. “Pflanzenschutz ist eine Ernteversicherung“, sagt Kern. Zwar höre sich die geforderte Reduzierung um 50 Prozent beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln gut an, doch falls die Grenzen geschlossen würden und die Landwirte auch nur die Hälfte der Ernte einfahren könnten, sähe es schlecht mit der Eigenversorgung aus, argumentiert Kern. Dies könne nun sicherlich jeder nachvollziehen, da die Regale in den Geschäften leer seien und auch nicht so schnell wie gewohnt aufgefüllt würden. „Eine gesetzliche Verpflichtung 50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen ist in solchen Situationen nicht sinnvoll“, sagt Kern.

Auf Erträge verzichten, Landwirtschaft in Krise öffnen

Dies sieht Claudia Dickemann-Kohler vom Gärtnerhof Kohler in Gondelsheim anders. Seit nunmehr 30 Jahren produziert der Familienbetrieb nach den Vorgaben der Demeter-Richtlinien. Sicherlich ernte sie weniger als ihre konventionellen Kollegen, sagt sie, doch: „Es muss etwas passieren, denn es drohen Strafen von der EU wegen zu hoher Nitratwerte im Boden“. Daher müsse eben auf Erträge verzichtet werden. Trotzdem drohe keine Nahrungsmittelknappheit in Deutschland, da auch weiterhin ex- und importiert werde. Trotz der momentanen Corona-Krise, oder gerade während der Krise gelte es voran zu gehen und die Landwirtschaft zu öffnen. Sie selbst erlebe einen hohen Zulauf, da die Menschen Bio-Lebensmittel schätzten und gerne kauften. „Ich sehe an unserer Nachfrage, dass wir jetzt die Chance haben die Wertschätzung für unsere vor Ort produzierten Nahrungsmittel und deren Regionalität zu fördern“, sagt Dickemann-Kohler.

Krise ist eine Chance: dauerhaft nachhaltiger leben!

Ihrer Überzeugung nach müssen Waren einen Wert haben. Dazu gehöre es auch Arbeitskräfte gut zu entlohnen. Wenn ein Betrieb nur den Mindestlohn bezahlen könne, sei die Arbeit für viele Menschen unattraktiv, da sie für ihren Einsatz nicht gerecht bezahlt würden und teilweise auch nicht besser bezahlt werden könnten. „Ich wünsche mir, dass dies von der Verbraucherseite mehr anerkannt wird“, sagt die Landwirtin. Somit würde die Arbeit auch für heimische Arbeitskräfte interessanter. „Es liegt an uns selbst etwas an unserem eigenen Verhalten zu rücken und einiges zu verändern“, sagt Dickemann-Kohler. Die Corona-Krise müsse man nicht nur mit Angst und Sorge sehen, sondern als klare Chance. Jetzt könnten die Menschen überlegen, was die Lage mit ihnen selbst mache und wie sie ihr eigenes Leben in Zukunft gestalten möchten. Dickemann-Kohler hofft, dass sich die Leute dauerhaft mehr mit dem Thema nachhaltig leben beschäftigen und dies auch in Zukunft umsetzen werden.

Autor:

Beatrix Drescher aus Bretten

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