„Gesetz ad absurdum geführt“
Rodung von Streuobstbäumen in Gölshausen führt zu Fachaufsichtsbeschwerde beim RP Karlsruhe

Gerodete Streuobstbäume im "Herrgottsäcker". | Foto: Dittes
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Bretten (hk) Im Brettener Stadtteil Gölshausen sind für die geplante Erweiterung des Gewerbegebietes mehrere Streuobstbäume gefällt worden, obwohl der NABU bereits vor der Abholzung Widerspruch eingelegt hatte. Nun hat die Rodung der Bäume eine Welle von Reaktionen ausgelöst.

Rodung durch NABU-Vorsitzenden gestoppt

Die Vorwürfe gegen die Stadt Bretten und das Landratsamt Karlsruhe beziehen sich auf den Zeitraum zwischen dem 17. und 28. November: Am 28. November begannen die Arbeiten zur Fällung der Bäume. Am selben Tag, so beschreibt es Norbert Fleischer vom NABU Bretten, habe der NABU-Landesverband in Stuttgart ein Schreiben des Landratsamtes (LRA) Karlsruhe erhalten. Darin informierte das LRA, dass die Stadt Bretten am 17. November einen Sofortvollzug auf Rodung der Streuobstwiese gestellt hatte, der am 21. November vom LRA genehmigt wurde. Während die Bäume gefällt wurden, habe der Anwalt des NABU versucht, die Rodung zu stoppen, so Fleischer. Er fügt hinzu: „Als das Verwaltungsgericht am Abend den Rodungsstopp verfügte, stand von circa 40 Bäumen nur noch einer auf der Streuobstwiese. Dies auch nur durch den Einsatz des Vorsitzenden des NABU Baden-Württemberg (BW), Johannes Enssle, der vor Ort war.“

„Wichtige Habitate besonders geschützter Arten“

Sieben Landtagsabgeordnete der Grünen haben in der Folge am 7. Dezember in einem offenen Brief an den Brettener Oberbürgermeister Martin Wolff und an den Landrat des Landkreises Karlsruhe, Christoph Schnaudigel, ihre Bestürzung über die gefällten Bäume, die „allein schon aufgrund ihres Alters eine besonders hohe naturschutzfachliche Bedeutung besaßen“, zum Ausdruck gebracht. Die Bäume seien „wichtige Habitate besonders geschützter Arten“ gewesen, so die Grünen. Sie verweisen auf den Schutz von Streuobstbeständen im Rahmen des Biodiversitätsstärkungsgesetzes: Streuobstbestände seien in möglichst großem Umfang zu erhalten und insbesondere vor Inanspruchnahme durch Bebauung zu schützen. „Auch laufende Bebauungsplanverfahren mit Aufstellungsbeschlüssen und langjährigen Vorplanungen sind hiervon nicht ausgenommen“, heißt es in dem offenen Brief. Die gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen an anderer Stelle könnten keinen adäquaten Ersatz für bestehende Streuobstbestände darstellen. Mit der Rodung der alten Hochstamm-Obstbäume während eines laufenden Widerspruchsverfahrens hätten die Stadt und das Landratsamt „Fakten geschaffen, die auch das Regierungspräsidium und das Umweltministerium beschäftigen werden und über die nun zunächst das Verwaltungsgericht Karlsruhe zu urteilen hat.“

NABU zu spät über die Rodung informiert?

Der NABU Baden-Württemberg hat am 8. Dezember eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen das Landratsamt eingereicht. Das LRA habe den NABU zu spät über die Rodung informiert. Daher war es dem NABU nicht mehr möglich, rechtzeitig gegen die Maßnahme vorzugehen. Daraufhin habe der NABU zwar einen Eilantrag vor Gericht gestellt, der die Rodungen noch am selben Nachmittag gestoppt hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren aber bereits 39 der 40 Streuobstbäume gefällt worden. Warum die Fällung der Streuobstwiese in Bretten überhaupt erlaubt wurde und ob dies rechtens war, müsse in dem vom NABU anhängig gemachten Rechtsverfahren zügig geklärt werden, betont der Landesvorsitzende Johannes Enssle. Als Begründung für die Genehmigung habe das Landratsamt in seinem Genehmigungsbescheid angeführt, so der NABU, dass die Stadt Bretten seit langem auf die Räumung des Baugebietes warte.

„Vertrauensbruch darf sich nicht wiederholen“

Die kürzlich eingereichte Fachaufsichtsbeschwerde beim Regierungspräsidium Karlsruhe gegen das Landratsamt begründet der NABU so: „Wir haben das Regierungspräsidium als zuständige Aufsichtsbehörde eingeschaltet. Damit wollen wir verhindern, dass ein solches Vorgehen wie in Bretten Schule macht. Als Naturschutzverband möchten wir in Zukunft vollständig und – vor allem – rechtzeitig über geplante Entscheidungen der Landratsämter informiert werden, wenn davon Widerspruchsverfahren wie hier im Fall der Streuobstwiesen in Bretten betroffen sind. Das Regierungspräsidium muss sicherstellen, dass sich ein derartiger Vertrauensbruch wie in Bretten-Gölshausen nicht wiederholt.“ Und der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle fügt hinzu: „Wir hatten auf die aufschiebende Wirkung unseres Widerspruchs vertraut. Stattdessen hat das Landratsamt im Hauruckverfahren teilweise über 100 Jahre alte Obstbäume fällen lassen und damit das Biodiversitätsstärkungsgesetz ad absurdum geführt. So geht das nicht.“ Das Regierungspräsidium sei nun aufgefordert, im Rahmen seiner Fachaufsicht für faire Verfahren zu sorgen.

BUND fordert konsequente Flächenentsiegelung

Auch Gerhard Dittes vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) sieht in der Rodung der Bäume eine Reihe von Gesetzen und Zielen missachtet: Er nennt unter anderem das 2020 vom Landtag Baden-Württemberg beschlossene Gesetz zur Stärkung der Biodiversität, die vom Bund gestartete „Naturschutz-Offensive 2020“ und die 2021 vom Bundeskabinett beschlossene Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Dadurch sollten eigentlich auch Streuobstwiesen geschützt werden. Darauf habe der BUND Bretten in einer Stellungnahme bereits im August 2020 hingewiesen (hier zu lesen). „Aber die hier erfolgte rechtlich mögliche Befreiung von diesen Vorschriften zeigt, dass der Schutz der Streuobstwiesen nur auf dem Papier steht. Aus Wiesen wird Beton und Asphalt, also versiegelte Flächen, die sich bei Sonneneinstrahlung aufheizen und so die Klimaerwärmung beschleunigen. Wirkungsvoller Klimaschutz besteht aber nicht nur in der Verringerung von Treibhausgasen wie Kohlestoffdioxid, sondern auch im Verzicht auf weitere Flächenversiegelung in Verbindung mit konsequenter Flächenentsiegelung“, betont Dittes.

„Ausnahme wurde zur Regel“

Um die Wirksamkeit des Biodiversitätsstärkungsgesetzes zu prüfen, habe der NABU Landesverband bei den Landratsämtern eine Umfrage durchgeführt, informiert Fleischer. Das Ergebnis: Zwischen März 2021 und Februar 2022 seien 54 Rodungsanträge gestellt worden, von denen 42 genehmigt wurden. „Das heißt, die Ausnahme wurde zur Regel. Das Ziel der Gesetzesänderung wurde völlig verfehlt“, ist sich Fleischer sicher. Nun müssten die Gerichte prüfen, ob die Ausnahmen rechtens sind. „Falls ja, muss der Gesetzgeber das Gesetz nachbessern“, so Fleischer. Wie das Verwaltungsgericht in Karlsruhe auf Nachfrage informiert, sei eine mündliche Verhandlung zu der Sache nicht beabsichtigt. Über den gerichtlichen Eilantrag soll aber noch vor Weihnachten entschieden werden. Auch die Stadt Bretten hält sich bedeckt und verweist auf das laufende Verfahren.

Autor:

Havva Keskin aus Bretten

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