70 Jahre Bundesrepublik Deutschland
Eine Erfolgsgeschichte von Frieden, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit

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Nach vergeblichen Anläufen in der demokratischen Revolution von 1848/49 und in der kurzen Weimarer Republik erhielten die Deutschen vor 70 Jahren zum zweiten Mal in ihrer Geschichte die Chance zum friedlichen Zusammenleben in einem demokratischen Rechtsstaat. Ost- und Westdeutschland gingen dabei jedoch unter dem Einfluss der Weltpolitik zunächst getrennte Wege. Bis zur Wiedervereinigung beschränkt sich der folgende kurze geschichtliche Überblick aus Platzgründen auf die Entwicklung in Westdeutschland. Auch die Schilderung des weiteren Verlaufs erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Menschenwürde als zentraler Verfassungsgrundsatz

Die am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland (BRD) entstand auf den Trümmern des vom nationalsozialistischen Terrorregime verschuldeten Zweiten Weltkriegs. In der am 24. Mai 1949 in Kraft getretenen deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, wurde zum ersten Mal die Unantastbarkeit der Menschenwürde als höchster Verfassungsgrundsatz festgeschrieben. Damit reagierten die Verfasser/innen auf die massive Missachtung der Menschenwürde durch den NS-Staat, der die Diskriminierung und letztendliche Ermordung von Millionen Juden, Behinderten und anderen Minderheiten mit deren angeblich minderwertigem Menschsein begründet hatte. Die Achtung der Menschenwürde ist seitdem Voraussetzung und Garant für alle weiteren vom Grundgesetz gewährten Menschenrechte wie zum Beispiel für die Grundrechte auf freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, auf Gleichheit aller vor dem Gesetz, auf Gleichberechtigung von Männern und Frauen, auf Schutz vor Benachteiligung, auf Glaubens- und Gewissensfreiheit, auf Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit sowie auf Eigentum einschließlich der Verpflichtung, dieses zum Wohl der Allgemeinheit zu verwenden.



Von zerbombten Städten zum „Wirtschaftswunder“

Das in seinen Grundzügen ebenfalls im Grundgesetz verankerte politische System als bundesstaatlich organisierte parlamentarische Demokratie mit sich gegenseitig kontrollierenden Machtzentren - in Form der gesetzgebenden Parlamente, einer starken Bundesregierung, ergänzt durch eine starke Ländervertretung (Bundesrat), eines eher repräsentativen Bundespräsidenten und des unabhängigen Rechtswesens - hat sich bisher als anpassungsfähig an neue Herausforderungen erwiesen. In der Nachkriegszeit gelang es nicht nur, trotz zerbombter Städte, Wohnungsnot und Mangelwirtschaft etwa acht Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus den verlorenen deutschen Ostgebieten zu integrieren, sondern mit Hilfe der westlichen Besatzungsmächte auch einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung in Gang zu setzen („Wirtschaftswunder“).



Westorientierung und Teilsouveränität

Die vom damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) vorangetriebene Westorientierung führte zur politischen (Mitgliedschaft im Europarat 1951), wirtschaftlichen (Gründung der Montanunion 1952) und militärischen (NATO-Beitritt 1955) Integration in das westliche Bündnis, was 1955 mit der Aufhebung des Besatzungsstatuts und der Teilsouveränität der BRD belohnt wurde. Andererseits wurde dadurch der Graben zur in Ostdeutschland unter sozialistischem Vorzeichen entstandenen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vertieft, was 1961 darin gipfelte, dass die DDR ihre Grenze zum Westen schloss (Mauerbau).



Bewegung für Veränderung und Linksterrorismus

Nahezu gleichzeitig mit dem Ende des Wirtschaftsaufschwungs entstand eine Bewegung für gesellschaftliche Veränderungen. Seit Mitte der 1960er Jahre protestierten hauptsächlich Studenten und Schüler gegen das Schweigen der älteren Generation zu den Verbrechen der NS-Diktatur und ihrem Anteil daran, gegen eine verbreitete Scheinmoral, gegen den „Bildungsnotstand“ und gegen den von den verbündeten USA grausam geführten Vietnamkrieg. Es kam zu einer Eskalation der Gewalt auf der Straße, die von den tödlichen Polizeischüssen auf den Studenten Benno Ohnesorg (1967) über das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke bis zu den Morden durch die linksterroristische Rote Armee Fraktion (RAF) reichte („Deutscher Herbst“ 1977). Der Staat reagierte mit Notstandsgesetzen (1968), dem Radikalenerlass (1972), diversen Gesetzverschärfungen, einer Aufrüstung der Polizei und aufwändigen Gerichtsverfahren.



Reformen, Ostpolitik und deutsche Einheit

Dennoch schritt unter dem Eindruck der internationalen Popkultur, der durch die Antibabypille ermöglichten sexuellen Selbstbestimmung, des auch aufgrund gewerkschaftlich erstrittener Arbeitszeitverkürzungen und Einkommenszuwächse erleichterten Tourismus und einer offenen Diskussionskultur die Liberalisierung der Gesellschaft voran. Sozial-liberale Regierungen unter Willy Brandt und Helmut Schmidt setzten von 1969 bis 1982 zahlreiche Reformen durch, darunter die Gleichberechtigung im Ehe- und Familienrecht, die Aufhebung der Strafbarkeit von Gotteslästerung, Ehebruch und Homosexualität, eine Änderung des Abtreibungsparagraphen 218 und die Senkung der Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre. Die von der SPD-FDP-Regierung gegen Widerstände aus der CDU/CSU verfolgte Normalisierung der Beziehungen mit den Ostblockstaaten (Ostpolitik) trug mit der Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO (1973), der Entspannungspolitik der Supermächte in den 1980er Jahren und letztendlich der friedlichen Revolution in der DDR 1989 Früchte. Ergebnis war die von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) mit dem sowjetischen Staatschef Gorbatschow vorverhandelte und mit Zustimmung der ehemaligen Besatzungsmächte am 3. Oktober 1990 durch Beitritt der DDR zur BRD vollzogene deutsche Einheit. Seither ist das vereinigte Deutschland voll souverän. Trotz seiner Verdienste wurde Kohl 1998 nach 16 Jahren als erster Bundeskanzler vom Volk abgewählt.



Aufschwung der Umweltbewegung

Seit den 1970er Jahren war zudem, unter anderem ermutigt durch den erfolgreichen Widerstand gegen das Atomkraftwerk im südbadischen Wyhl, eine Umweltschutzbewegung herangewachsen, die 1980 zur Gründung der Partei Die Grünen und deren Einzug 1983 in den Bundestag führte. Enormen Auftrieb erhielt die Umweltbewegung durch den Schock des Reaktorunglücks im ukrainischen Tschernobyl 1986, von dem sich radioaktiv verstrahlter Niederschlag über ganz Europa ausbreitete. 14 Jahre später leitete die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder den Atomausstieg ein. Dieser wurde 2010 von der schwarz-gelben Koalition unter Deutschlands erster Bundeskanzlerin Angela Merkel teilweise zurückgenommen, um ein Jahr später unter dem Eindruck der Atomkatastrophe von Fukushima doch endgültig beschlossen zu werden. Inzwischen hat die Bewegung mit der Dieselaffäre, dem Insektensterben und dem Klimawandel (Fridays for Future, CO2-Steuer) neue Themen aufgegriffen.



Militärische Einsätze und Hartz IV

Vor dem Hintergrund ethnischer Säuberungen im Kosovokrieg billigte die rot-grüne Regierung 1998 den Einsatz der NATO gegen Serbien, wodurch erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg deutsche Soldaten wieder an Kriegshandlungen teilnahmen. Ebenso unterstützte sie nach den Terroranschlägen 2001 in den USA den „Krieg gegen den Terror“ in Afghanistan, wo die islamistischen Drahtzieher der Anschläge saßen. Kanzler Schröders im Bundestagswahlkampf 2002 erklärtes Nein zu einer direkten Bundeswehr-Beteiligung am Irakkrieg galt als einer der Gründe für den erneuten rot-grünen Wahlsieg. Im Gegensatz zu diesem kurzfristigen Erfolg steht das anhaltend negative Image der von der Regierung Schröder seit 2003 durchgesetzten Veränderungen in der Gesundheits-, Renten- und Sozialpolitik. Vor allem die als sozial ungerecht, der Menschenwürde widersprechend und als Ursache zunehmender Verarmung empfundenen Strafandrohungen im Zusammenhang mit der Gewährung der neuen Grundsicherung (Hartz IV) kosteten die SPD viele Wählerstimmen und überschatten seither auch sozialpolitische Erfolge wie zum Beispiel bei der Rentensicherung.



Finanzkrise, Rechtsterrorismus und Rechtspopulismus

Ab 2008 geriet Deutschland in den Sog der durch Immobilienspekulationen ausgelösten internationalen Finanzkrise, deren negative Auswirkungen auf die Wirtschaft die Große Koalition unter Kanzlerin Merkel innenpolitisch beispielsweise mit der Verstaatlichung der hoch verschuldeten Hypo Real Estate Bank und mit der sogenannten Abwrackprämie sowie europapolitisch mit einer schärferen Bankenkontrolle abzumildern suchte. Im Zuge der politischen Aufarbeitung des 2011 bekannt gewordenen rechtsterroristischen Netzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU), das über Jahre hinweg zehn griechisch- und türkischstämmige Mitbürger ermordet hatte, stellten sich massive Ermittlungspannen bei Polizei und Verfassungsschutz heraus. Dabei erwies sich der neue Rechtsterror nur als Spitze eines Eisbergs aus rechtsextremen Einstellungen und Aktivitäten, die zunächst in den östlichen Bundesländern, unter anderem mit der islam- und zuwanderungsfeindlichen Pegida-Bewegung, und inzwischen bundesweit auch durch profilierte Köpfe der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) verbreitet werden. Insbesondere das Unbehagen breiter Bevölkerungskreise angesichts des großen Flüchtlingszustroms 2015 verhalf der AfD 2017 zum Sprung in den Bundestag. In der Fremdenfeindlichkeit machte sich auch die Politikverdrossenheit infolge des wirtschaftlichen Niedergangs in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung Luft, während in Westdeutschland infolge der langen Erfahrungen mit Gastarbeitern eine entspanntere Haltung gegenüber Zuwanderern vorzuherrschen scheint.



Deutschlands Platz in Europa

Als zunehmende Herausforderung der deutschen Politik erweist sich die Europapolitik, der unter anderem ein soziales und ein Demokratiedefizit nachgesagt wird. Obwohl viele Bürger/innen durchaus Errungenschaften der europäischen Einigung wie die durch offene Grenzen ermöglichte Reise- und Berufsausübungsfreiheit sowie zollfreien Warenverkehr, friedliche Konfliktregelung unter den Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU), gemeinsame Euro-Währung (seit 2002) und andere Vorteile zu schätzen wissen, stehen sie einer vertieften europäischen Integration skeptisch bis ablehnend gegenüber. Während Bundestag und Bundesrat 2005 unter Rot-Grün noch mit übergroßer Mehrheit einen „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ verabschiedeten, reagierte die schwarz-rote Große Koalition unter Kanzlerin Merkel zuletzt hinhaltend und ohne eigenes Konzept auf Initiativen des französischen Präsidenten Macron zu einer engeren europäischen Zusammenarbeit. Zudem bremsten das britische Tauziehen um die Bedingungen für den beschlossenen Austritt aus der EU (Brexit) und der erwartete Zuwachs für rechtspopulistische Strömungen bei den bevorstehenden Wahlen zum europäischen Parlament den politischen Gestaltungswillen. Dabei setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Deutschland wirtschaftlich und politisch nur gemeinsam mit seinen europäischen Partnern im durch technologische Innovationen und neue politische Unsicherheiten geprägten weltweiten Wettbewerb bestehen und seine grundgesetzlich garantierten Werte wie Menschenwürde und Menschenrechte bewahren kann. ch

Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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