Klimaschutz? Bürgerwohl? Fehlanzeige.
Bretten zwischen Ambition und Bankrotterklärung

- Symbolbild. Gartenschau Bretten
- Foto: Björn Böttle
- hochgeladen von Björn Böttle
Der Slogan „Bretten bewegt“ bekommt derzeit einen bitteren Beigeschmack – denn tatsächlich bewegt sich in der Großen Kreisstadt erschreckend wenig. Die viel gepriesene Gartenschau 2031, einst Hoffnungsträger für Stadtentwicklung, Mobilitätswende und Klimaanpassung, droht krachend zu scheitern. Und mit ihr viele Versprechen, die Verwaltung und Gemeinderat in den vergangenen Jahren gemacht haben. Statt Fortschritt erleben die Bürger:innen ein gefährliches Spiel auf Zeit – mit Wohlfühlrhetorik, Projektchaos und Ignoranz gegenüber den drängenden Herausforderungen unserer Zeit.
Ein ambitioniertes Projekt implodiert – still und zäh
Die Gartenschau sollte der große Wurf werden – für die Stadt, aber vor allem für ihre Menschen. Mehr Grünflächen für Schatten und Erholung, entsiegelte Areale gegen Hitze und Hochwasser, offene Bachläufe, die das Stadtklima verbessern – all das wäre nicht nur schön, sondern praktisch und notwendig gewesen. Neue Rad- und Fußwege, sichere Querungen, ruhigerer Verkehr, belebte Plätze: ein echter Zugewinn für die Kernstadt, der – wenn klug weitergedacht – auch ein Impuls für die Stadtteile hätte sein können. Die Gartenschau hätte als Motor gewirkt: für Investitionen, für konkrete Verbesserungen im Alltag, für ein neues Miteinander im öffentlichen Raum.
Doch die Stadt Bretten hat sich verzettelt. Plan A war ambitioniert, aber ohne echte Kostentransparenz. Plan B war halbherzig – und selbst dieser ist nun zu teuer und konzeptuell schwach. Die Folge: ein „Flickenteppich“ ohne städtebauliche Vision. Einzelmaßnahmen ohne Wirkung. Ein Projekt ohne Rückhalt. Der Gemeinderat steht kurz vor dem Ausstieg – die Gartenschau vor dem politischen und emotionalen Offenbarungseid.
Ein Paradebeispiel für die Planungsunfähigkeit: Die ursprüngliche Gartenschauplanung stellte das Wertheimer-Gelände ins Zentrum – ohne dass sich das Grundstück im Besitz der Stadt befand. Der Eigentümer erfuhr aus der Presse von den Plänen. Dass er daraufhin einen entsprechend hohen Preis aufruft, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern war vorhersehbar. Wer so an ein Projekt von solcher Tragweite herangeht, darf sich über explodierende Kosten und geplatzte Träume nicht wundern.
Mobilitätskonzept – nur ein schönes Wort?
Die Gartenschau sollte auch ein Hebel für eine neue Mobilitätsstrategie sein. Doch außer Symbolpolitik ist bislang nichts passiert. Der Rückbau der Wilhelmstraße, einst als temporärer Test angekündigt, wurde auf Eis gelegt. Maßnahmen wie Pförtner-Ampeln, die den Schwerlastverkehr gezielt steuern könnten, sind nicht Teil des offiziellen Mobilitätskonzepts – aber wären ein pragmatischer und kurzfristig umsetzbarer Schritt. Selbst ein einfaches Zusatzschild „Lärmschutz“ an bekannten Raserstrecken wird abgelehnt. Nur: Die Stadt zeigt kein Interesse.
Und genau hier zeigt sich das ganze Ausmaß der verpassten Chance: Die Gartenschau hätte nicht nur für große Symbolprojekte stehen können – sondern für konkrete, alltagswirksame Veränderungen. Für einen mutigen Verkehrstest. Für mehr Aufenthaltsqualität. Für mehr Sicherheit und Klimaverantwortung. Stattdessen bleibt alles beim Alten. Während man sich in Millionenprojekten verliert – wie der Südwestumfahrung mit über 100 Millionen Euro oder einem zerbröselnden Gartenschau-Plan mit bis zu 50 Millionen Euro – scheitert es an den kleinsten Stellschrauben: einfache Verkehrslenkung, Lärmschutz, temporäre Verkehrsversuche.
Stattdessen wird auf die Südwestumfahrung verwiesen – ein Projekt, das nicht nur von ursprünglich geplanten 34 auf inzwischen über 100 Millionen Euro prognostizierte Kosten verursacht, sondern laut dem Regierungspräsidium Karlsruhe auch mehr Verkehr, insbesondere mehr Lkw, auf Brettens Gemarkung bringt. Eine Maßnahme also, die teuer ist, die Klimabelastung erhöht, Natur zerstört – und das eigentliche Problem nicht löst.
Verkehrschaos? Nein – Konzeptchaos!
Dass Einzelhändler über sinkende Kundenfrequenz klagen, ist nachvollziehbar. Doch der Grund ist nicht primär der Verkehr – sondern die Qualität und Positionierung des Einzelhandels selbst. Wer auch montags geöffnet hat, weil es sich lohnt, zeigt: Es geht auch anders. Vielleicht sollten sich manche Händler eher fragen, warum das bei anderen funktioniert – statt reflexhaft den Parkplätzen, dem Verkehr oder den ausbleibenden Kunden die Schuld zu geben.
Hinzu kommt: Die Stadt hat über Jahre selbst dazu beigetragen, Kaufkraft aus der Innenstadt abzuziehen. Mit der bewussten Stärkung des Kraichgau Centers wurde ein Gegenpol geschaffen – nicht als Ergänzung, sondern als Konkurrenz. Und jetzt soll ausgerechnet eine Südwestumfahrung die Innenstadt „retten“? Realistischer ist: Sie wird sie weiter schwächen. Denn wer künftig schneller an Bretten vorbeifährt, landet umso bequemer in den aufstrebenden Mittelzentren Bruchsal oder Pforzheim.
Eine Umgehungsstraße wird kein neues Kaufverhalten erzeugen – sie gefährdet Brettens Status als Mittelzentrum mehr, als sie ihn stärkt. Es braucht ein echtes Umdenken: Innenstadtentwicklung beginnt nicht mit Asphalt, sondern mit Anspruch, Qualität und urbanem Konzept.
Klimaschutz? Nur als Fassade
Bretten betreibt Klimaschutz auf dem Papier – aber nicht in der Realität. Der Klimabeirat, 2023 politisch beschlossen und mit großer öffentlicher Beteiligung vorbereitet, sollte ein sichtbares Zeichen für eine engagierte, bürgernahe Klimapolitik sein. Doch nun zeigt sich: Die Stadt tut sich schwer mit dem Engagement, das sie selbst eingefordert hat.
Weil sich mehr Bürger:innen beworben haben als die ursprünglich vorgesehenen 15 Plätze, wird plötzlich nicht erweitert – sondern hinterfragt. Die Verwaltung diskutiert mit dem Gemeinderat über eine alternative Gremienform, in der man „mehr Menschen berücksichtigen“ könne – und genau darin liegt die Entwertung: Anstatt die Geschäftsordnung flexibel und transparent anzupassen, wird das Gremium faktisch aufgelöst, bevor es überhaupt seine Arbeit aufnehmen konnte.
Statt ein starkes Signal für Beteiligung und Klimabewusstsein zu setzen, verlagert man die Verantwortung auf vage Arbeitskreise und verschiebt den offiziellen Start auf unbestimmte Zeit. Das ist kein organisatorisches Problem – das ist politisches Kalkül. So verspielt man nicht nur Zeit, sondern auch Glaubwürdigkeit – und jegliche Ernsthaftigkeit in Sachen Klimaschutz.
Gondelsheim als Warnung: Hochwasserschutz kann warten – bis es zu spät ist
Dass der Klimawandel längst da ist, zeigt das Nachbardorf Gondelsheim. Dort richtete 2024 ein Starkregen große Schäden an. Bretten sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass man „noch Zeit“ habe. Es braucht keine millionenschweren Rückhaltebecken – einfache, effektive Maßnahmen wie Feldraine, vielfältige Bepflanzung und funktionierende Gewässerräume können den Unterschied machen. Doch auch hier werden Maßnahmen vertagt – weil man sie an eine Gartenschau koppelte, die nun nicht kommt.
Wer haftet eigentlich für künftige Schäden bei Bürger:innen, wenn die Stadt sehenden Auges nichts tut?
Bürgerbeteiligung? Systematisch verhindert
Bürger:innenbeteiligung war das große Versprechen. Die Realität? Entscheidungen wurden in Klausuren vorbereitet, Rücksprachen mit der Bevölkerung fanden nicht statt. Ideen aus der Bürgerschaft gab es reichlich – aber kein Verfahren, um sie ernsthaft zu berücksichtigen. Beteiligung wurde nicht versäumt – sie wurde systematisch verhindert.
Konkret zeigt sich das an fundierten Vorschlägen wie dem Konzept von Matthias Goll, veröffentlicht unter dem Titel „Wasser auf die Mühlen lenken“ auf kraichgau.news – ein Ansatz, der mit natürlicher Gewässerführung, dezentraler Begrünung und minimalinvasiven Eingriffen weit näher an ökologischer Realität und finanzieller Machbarkeit lag als die offiziellen Pläne. Auch das Projekt „Grünes Band“ wurde zwar diskutiert, aber nie in Entscheidungsprozesse integriert.
Und wer weiß, welche weiteren Ideen nie sichtbar wurden? Denn: Es gab gar keinen Raum, sie einzubringen. Auch Vorschläge wie die Integration der Saalbachauen zwischen Bretten und Rinklingen – für deren Prüfung im Jahr 2025 sogar Mittel für eine Machbarkeitsstudie im Haushalt eingeplant sind – fanden keinen Platz in einer breiten öffentlichen Debatte. Weil es die dafür nötige Struktur schlicht nicht gab.
Die Stadt hat es versäumt, ein ernst gemeintes Beteiligungsformat zu schaffen, das zivilgesellschaftliche Beiträge aufnimmt, prüft und zurückspiegelt – und setzt damit ein fatales Signal. Wer Beteiligung will, muss sie ermöglichen. In Bretten wurde sie verhindert.
Eine Stadt ohne Zielbild
Bretten hat kein Konzept. Kein Ziel. Keine Vorstellung davon, wohin sich diese Stadt eigentlich entwickeln soll. Es gibt keinen Plan für 2030, keinen Horizont für 2040. Stattdessen: Tagesgeschäft, Reaktionen, Verwaltungsroutine. Es fehlt ein Stadtentwicklungsmodell, das diesen Namen verdient.
Was Bretten fehlt, ist nicht das Geld – es ist der politische Mut, klare Prioritäten zu setzen, strategisch zu denken und sich nicht in Nebenschauplätzen zu verlieren. Statt sich um die drängenden Herausforderungen unserer Zeit zu kümmern – Klimaanpassung, Mobilität, Hochwasserschutz, lebenswerte Stadtquartiere – verharrt man im Klein-Klein. Ein aktuelles Beispiel: die wiederholte Diskussion um einen Nutzungsvertrag für die Aula des Melanchthon-Gymnasiums – ein Vorgang, der politisch Zeit frisst, aber keinen relevanten Fortschritt bringt. Ein Vertrag, der de facto nicht notwendig wäre, aber dennoch mehrfach politisch verhandelt wurde.
Jetzt heißt es, man wolle ausgewählte Einzelprojekte aus dem gescheiterten Gartenschau-Konzept trotzdem umsetzen. Doch genau das ist Teil des Problems: Ohne übergeordnetes Leitbild verkommen auch gute Maßnahmen zu bedeutungslosen Einzelereignissen. Stückwerk bleibt Stückwerk. Wer ohne Plan agiert, betreibt Symbolpolitik – aber keine Stadtentwicklung.
Mit welchen Mitteln eigentlich? Jetzt sollen plötzlich – ohne den strukturellen Förderrahmen der Gartenschau – einzelne Maßnahmen realisiert werden. Möglich, dass es irgendwo Fördermittel gibt. Aber ohne ein Gesamtkonzept bleibt der Eindruck eines hektischen Nachsteuerns. Ein Flickenteppich bleibt ein Flickenteppich – und mit ihm die Unglaubwürdigkeit.
Was Bretten fehlt, ist Richtung. Eine Vision. Ein politischer Wille, der sagt: Wir wissen, wo wir hinwollen – und wir fangen heute damit an. Doch solange das fehlt, bleibt jede Maßnahme isoliert – und verpufft im Alltag.
Was bleibt, ist Enttäuschung. Und der Eindruck, dass Bretten zwar viel redet – aber nichts verändert.
Die vorliegenden Zeilen sollen nicht bloß kritisieren, sondern aufzeigen, wo Bretten mutig vorangehen könnte – wenn Stadtverwaltung, Gemeinderat und Bürgerschaft an einem Strang ziehen. Die Chance dafür besteht – aber sie braucht jetzt den politischen Willen, das Gemeinsame über das Trennende zu stellen.
Fazit: Eine Stadt im Stillstand
Bretten steht – und steht sich selbst im Weg.
Bretten verspielt nicht nur seine Chancen – es verspielt seine Glaubwürdigkeit. Die Stadt steht nicht nur strukturell auf der Kippe, sie verliert auch den moralischen Anspruch, beim Thema Klimaschutz, Bürgerbeteiligung und Stadtentwicklung ernst genommen zu werden.
Wer Veränderung will, braucht Mut. Bretten zeigt bislang das Gegenteil: Angst vor Verantwortung, Rückzug ins Klein-Klein und Ausweichen vor allem, was unbequem sein könnte. Die Bürger:innen sehen das – und sie vergessen es nicht.
Autor:Björn Böttle aus Bretten |
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