Polen – Entdeckungsreise auf den Spuren der europäischen Geschichte, Teil 3: Gdansk / Danzig 1
Zeugen der Vergangenheit, Straßenmaler und Kaufleute
19. Juli: Zeugen deutscher und polnischer Vergangenheit - Lebork
Auf der Fahrt nach Danzig machten wir im Städtchen Lebork Zwischenstation. Das Rathaus (Ratusz) ist in einem stattlichen, restaurierten Backsteinbau untergebracht, ebenso wie die Post gegenüber. Am Rathauseingang weisen Schilder auf den dort tagenden Gemeinderat (Rada Miejska), den Bürgermeister (Burmistrz Miasta), die Stadtverwaltung und das Standesamt (Urzad Stanu Cywilneego) hin. An zwei Nebeneingängen entdeckten wir verblichene deutsche Aufschriften: „Städt. Sparkasse“ und „Ratskeller“. Wir haben viele historische Gebäude aus der deutschen Vergangenheit dieses Teils von Polen gesehen. Oft sind sie schön restauriert. Wegen einsetzenden Nieselregens begnügten wir uns mit der Besichtigung eines perfekt wiederhergestellten Backsteinturms der mittelalterlichen Stadtbefestigung Leborks, direkt vor einem Wohnblock, der noch auf seine Renovierung wartet. Die Frau am Eingang des Museumsturms lächelte, lud uns zur kostenlosen Besichtigung ein, sprach aber keine Fremdsprache. Zu sehen sind auf drei Etagen mittelalterliche Rüstungen, Gewänder, Waffen und Alltagsgegenstände, veranschaulicht mit Schaufensterpuppen und Schautafeln. Weiter ging´s Richtung Danzig.
Opernklänge in der Straßenbahn
Die im Mittelalter einst reiche Hansestadt Danzig (polnisch Gdansk) war in der Geschichte ein häufiger Zankapfel zwischen Polen, Preußen und Deutschland. Sie ist auch heute noch eine quirlige, weltoffene Handelsmetropole und zugleich Hauptstadt der Region Pommern. Da wir relativ früh am Nachmittag ankamen, fuhren wir von unserer, in einem Vorort in den Bergen bei Danzig gelegenen Pension direkt in die Innenstadt. An der Bushaltestelle halfen uns zwei Passanten, den Fahrplan zu verstehen. Einer der beiden wies uns auch den Weg zur Umsteigehaltestelle der Straßenbahn gegenüber der Galeria Bałtycka, des größten Einkaufszentrums in der Region Pommern. Auf der Aleja Grunwaldzka (Grunewald-Allee) und Aleja Zwyciestwa (Wilhelms-Allee) fuhren wir mit der Tram zum Stadtzentrum, vorbei am deutschen Konsulat und ehrwürdigen Villen. Neu und amüsant: An der Haltestelle Oper klang statt der üblichen Ansage eine kurze männliche Gesangspassage der spanischen Oper Carmen aus den Lautsprechern, an der Haltestelle der Kinderklinik ertönten Kinderstimmen.
Shoppingcenter und Straßenmaler
Der 1900 im Stil der Neurenaissance fertiggestellte und nach Kriegsende wiederaufgebaute Danziger Hauptbahnhof, heute Gdańsk Główny, beeindruckt mit seinem dekorativen Uhrenturm. Bis 2021 soll das Bauwerk umfassend restauriert und zugleich modernisiert werden. Durch die von zahlreichen Läden gesäumte Bahnhofsunterführung gelangten wir in die Altstadt (Stare Miasto). Hinter der Unterführung relativ neue Gebäude mit vielen Geschäften, zwei Straßen weiter dann das nächste Einkaufszentrum, die Galeria Handlowa Madison (Madison Shopping Zentrum). Sie ist wie die Galeria Bałtycka nach dem Shop-in-shop-Prinzip eingerichtet. Zwischen einer zum Einkaufszentrum umgenutzten schönen alten Markthalle und der Katharinenkirche stand auf einem Podest ein Schnellrestaurant mit Außenbewirtung, das sich zum Fisch essen unter Coca Cola-Sonnenschirmen anbot. Am Rand eines Platzes entdeckte ich einen Open-Air-Maler, den ich ansprach. Er stellte sich als Greg Sparrow, mit bürgerlichem Namen Grzegorz Wróbel, professioneller Aquarell-Illustrator und Architekturmaler aus Warzawa (Warschau) vor. Ein nachträglicher Blick ins Internet (zum Beispiel auf https://de-de.facebook.com/pg/Grzegorz-Wróbel-Watercolors-Akwarele ) zeigt: Der Mann kann was.
Größter mittelalterlicher Hafenkran
Schon auf dem Weg zum alten Hafen zeigte sich der kulturelle Reichtum der einstigen Kaufmannsstadt. Die prächtigen alten Bürgerhäuser in den rückwärtigen Straßen warten freilich teilweise noch auf ihre Restaurierung. Vereinzelt drang Handwerkerlärm aus geöffneten Fenstern, wo gerade – unter Wahrung der historischen Fassade – eine Wohnung modernisiert wurde. In den Erdgeschossen hat sich eine bunte Vielfalt an Restaurants, Boutiquen, Kunsthandwerkern und originellen Läden einquartiert. Alle Besucher der Stadt treffen sich irgendwann auf der Hafenpromenade an der Motława (Mottlau). Wir kamen direkt unter Danzigs Wahrzeichen, dem mittelalterlichen Krantor (Żuraw), heraus. Laut Stadtplan bildet es die wehrhafte Hülle für den größten mittelalterlichen Hafenkran Europas. Das mit zwei riesigen, früher meist von Häftlingen angetriebenen Laufrädern ausgestattete, wuchtige Holztor diente in der Blütezeit der Handelsmetropole zum Be- und Entladen von Schiffen, zum Aufrichten von Schiffsmasten sowie zur Verteidigung. Es beherbergt heute das Polnische Schifffahrtsmuseum. Gegenüber auf der Speicherinsel (Wyspa Spichlerze) wurden alte Lagerhäuser neu gebaut. Vor die fertigen Betonrohbauten setzten Bauarbeiter die restaurierten, alten und teilweise auch neue, moderne Fassaden. In der Abendsonne flanierten wir die Promenade hinauf und hinunter, sahen die neue Hebebrücke in Richtung Seehafen, den stattlichen Bau der Polska Filharmonia Bałtycka auf der gegenüberliegenden Bleihofinsel (Wyspa Ołowianka) und kehrten über Danzigs Prachtstraße, der von prächtigen Bürgerhäusern gesäumten Langen Gasse (Uliza Długa), zurück zum Bahnhof. Am mittelalterlichen Stadtausgang, unter den Torbogen des Hohen Tors, erinnern großformatige Fotos an die fast vollkommene Zerstörung von Danzig im Zweiten Weltkrieg. Am folgenden Tag wollten wir uns die Stadt genauer anschauen.
Chris Heinemann
Alle Fotos: ch
Den vierten Teil des Reiseberichts Polen unter dem Titel „Gdansk/Danzig 2: Von Hitlers Weltkrieg zum demokratischen Wandel“ lesen Sie nächste Woche wiederum an dieser Stelle.
Die vorangegangenen Teile und weitere Berichte von anderen Reisenden aus der Region lesen Sie auf unserer Themenseite: Reiseberichte
Autor:Chris Heinemann aus Region |
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