Zwölfter Verhandlungstag im Oberderdinger Mordprozess: Staatsanwalt fordert Höchststrafe – Plädoyer der Verteidigung verschoben

Zeitplan durcheinander: Wegen Erkrankung eines Schöffen konnten im Schwurgerichtssaal des Karlsruher Landgerichts (Bildmitte mit hellen Vorhängen) nur Staatsanwalt und Nebenklagevertreterin ihre Plädoyers halten, der Verteidiger kommt erst am 11. März zum Zug. Foto: ch
  • Zeitplan durcheinander: Wegen Erkrankung eines Schöffen konnten im Schwurgerichtssaal des Karlsruher Landgerichts (Bildmitte mit hellen Vorhängen) nur Staatsanwalt und Nebenklagevertreterin ihre Plädoyers halten, der Verteidiger kommt erst am 11. März zum Zug. Foto: ch
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"Lebenslang" lautete am zwölften Verhandlungstag die Forderung des Staatsanwalts im Oberderdinger Mordprozess gegen einen 24-jährigen Altenpflegeschüler vor dem Karlsruher Landgericht. Weil ein Schöffe kurzfristig erkrankte, wurde das Plädoyer des Verteidigers auf Montag, 11. März, verschoben.

KARLSRUHE/OBERDERDINGEN (ch) Nachdem bereits die Beweisaufnahme von ursprünglich acht auf zwölf Tage verlängert worden war, ist der Zeitplan im Oberderdinger Mordprozess gegen einen 24-jährigen Altenpflegeschüler vor dem Karlsruher Landgericht erneut durcheinander geraten. Anders als geplant, kamen am Dienstag nur der Staatsanwalt und die Nebenklagevertreterin zu Wort. Das Plädoyer des Verteidigers wurde wegen kurzfristiger Erkrankung eines der beiden Schöffen auf Montag, 11. März, verschoben. Darüber zeigten sich einzelne der etwa 25 anwesenden Prozessbesucher enttäuscht.

Lebenslang für Mord und versuchten Mord?

Der Staatsanwalt forderte für den Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes an einer 82-jährigen Pflegeheimbewohnerin. Es sei erwiesen, dass die Frau bei einem von dem jungen Mann gelegten Brand ums Leben kam. Auch die Vertreterin der Nebenklage hält die Täterschaft des Angeklagten für erwiesen. Sie legte dem Gericht nahe, diesen zusätzlich wegen versuchten Mordes an einer von ihr vertretenen weiteren betagten Heimbewohnerin zu verurteilen, die das Feuer nur knapp überlebt hatte.

Urteilsverkündung am 13. März?

Am frühen Nachmittag unterbrach der Vorsitzende Richter Leonhard Schmidt die Sitzung unerwartet mit der Begründung, einer der beiden Schöffen im fünfköpfigen Richtergremium sei krank und müsse zum Arzt. Der betroffene Laienrichter habe sich bereit erklärt, bis dahin durchzuhalten, könne aber nun nicht länger warten. Nach dem Zusatztermin für das Plädoyer von Verteidiger Bastian Meyer am kommenden Montag um 9 Uhr könnte am darauffolgenden Mittwoch, 13. März, ab 10 Uhr dann das Urteil fallen. Zum Zeitpunkt der Sitzungsunterbrechung hatte die Vertreterin der Nebenklägerin, Rechtsanwältin Silke Hagenmeier aus Bruchsal, ihr Plädoyer wie geplant nach einer guten dreiviertel Stunde gerade beendet.

Ankläger: Gesamtbild spricht gegen Angeklagten

Viel länger als offenbar auch vom Gericht erwartet, war hingegen das Plädoyer von Staatsanwalt Martin Henzler am Vormittag ausgefallen. Zuvor hatte das Gericht die Beweisaufnahme formell geschlossen. In seinem gut zweieinhalbstündigen Vortrag ging der Anklagevertreter den festgestellten Ablauf aller drei dem Altenpflegeschüler zur Last gelegten Brände noch einmal detailliert durch und legte dann nicht weniger ausführlich die Gründe dar, warum aus seiner Sicht nur der Angeklagte als Täter infrage kommt. Bei allen Bränden sei er vor Ort gewesen, er habe die Mittel zur Tat gehabt und ebenso ein Motiv. Es gebe keinen vernünftigen Zweifel, das Gesamtbild zeige: „Es war der Angeklagte und kein anderer.“

Kein Alibi für zweiten Scheunenbrand

Bereits nach dem ersten Scheunenbrand am 26. März 2018 habe sich der Angeklagte durch seine erschrockene Reaktion und mehrfaches Nachfragen auf die Mitteilung, dass gewöhnlich Wildkameras aufgestellt seien, verdächtig gemacht. Was den zweiten Scheunenbrand am 6. April betreffe, sei er im Besitz aller Gegenstände und Kleider des von der Überwachungskamera aufgenommenen vermummten Täters gewesen. Aus der Überwachung seines Handys gehe hervor, dass er Angst hatte, dass die Polizei die Gegenstände findet, deshalb habe er sie zu anderen gebracht. Für die Tatzeit habe er „kein Alibi“, habe sich aber auffällig verhalten. Das reiche zum Nachweis seiner Täterschaft am 6. April aus. Bei anderen kurzzeitig Verdächtigten könne keine Tatverstrickung festgestellt werden.

„Geltungsbestreben“ als Motiv

Dasselbe gelte für den Pflegeheimbrand am 31. Mai 2018. „Keine ortsfremde Person kommt infrage“, das habe die Rekonstruktion der Vorgänge am Tattag erwiesen. Nicht einmal die schillernde Figur des im Januar 2018 gefeuerten ehemaligen Mitarbeiters: Dieser sei am Tattag nicht gesehen worden, habe vom natürlichen Tod der ehemaligen Zimmergenossin des Opfers nicht gewusst und sich kooperativ gezeigt. Auch die Schichtleiterin und eine Kollegin des Angeklagten seien hinsichtlich ihrer Angaben glaubwürdig. Nur der Angeklagte habe an jenem Nachmittag ab etwa 15.53 Uhr ein Zeitfenster von gut einer Viertelstunde gehabt, in dem er unbeobachtet war. Das Motiv dafür, dass er im Pflegeheim, in dem er arbeitete, ein Bett anzündete, sei sein „Geltungsbestreben“ gewesen, so der Staatsanwalt. Er habe mehrfach und bei verschiedenen Gelegenheiten gezeigt, dass er „gerne als Retter gesehen“ werden wolle.

„Besondere Schwere der Schuld“

Für die erste Brandstiftung forderte der Staatsanwalt unter anderem wegen des geplanten Vorgehens ein Jahr und acht Monate Freiheitsentzug. Für die zweite Brandstiftung wegen des hohen Sachschadens von bis zu 100.000 Euro und die aufgewendete hohe kriminelle Energie drei Jahre. Dazu „lebenslang“ für Mord in Tateinheit mit besonders schwerer Brandstiftung im Pflegeheim, ohne Berücksichtigung des auf über 200.000 Euro veranschlagten Sachschadens im Heim und weiterer in diesem Zusammenhang strafbarer Vergehen. Sein Handeln zeuge nicht nur von Gemeingefährlichkeit, sondern sei auch von niederen Beweggründen geleitet gewesen, indem er nur sich in den Mittelpunkt stellte und das Leben anderer aufs Spiel setzte. Außerdem sei er mit Heimtücke vorgegangen, als er seine Kollegin in eine verlängerte Pause schickte und die Wehrlosigkeit der schwer dementen Bewohnerin bewusst ausnützte. Er habe seine Vertrauensstellung missbraucht. In der Gesamtschau konnte der Staatsanwalt beim Angeklagten keine eingeschränkte Schuldfähigkeit erkennen, sondern bejahte im Gegenteil eine „besondere Schwere der Schuld“, die, sollte das Gericht seiner Auffassung folgen, einer vorzeitigen Haftentlassung nach 15 Jahren entgegenstünde.

Thesen der Verteidigung zerpflückt

Anders als der Staatsanwalt nahm sich die Nebenklagevertreterin das auf einen Freispruch abzielenden Anfangs-Statement des Verteidigers vor und begründete Punkt für Punkt, warum sie dieses für widerlegt hält. So habe die als Zeugin befragte Freundin das behauptete Alibi des Angeklagten beim ersten Brand nicht bestätigt. Warum habe er danach so auffällig reagiert? Wenn, wie von der Verteidigung angenommen, die Kamerabilder vor dem zweiten Brand jede beliebige Person zeigen könnten: Warum trage die Person auf der Kamera eine Brille und ein spitzes Kinn, einen Kanister, Tarnkleidung und Maske wie sie beim Angeklagten festgestellt wurden? Jede dieser Fragen für sich könne man mit Merkwürdigkeiten abtun. Aber in Summe ergäben sie nur dann Sinn, „wenn man davon ausgeht, dass er´s war.“

Nebenklagevertreterin: Angeklagter überführt

Auch dass der Angeklagte am Tattag wie viele andere Arbeitnehmer des Pflegeheims gearbeitet habe, zog die Anwältin in Zweifel. Warum habe er dann verschiedenen Zeugen völlig verschiedene Abläufe, Orte und Handlungsweisen erzählt? Ebenso wenig habe sich die Verteidigungsthese einseitiger Ermittlungen bestätigt. Keine andere Person sei am Tattag aufgefallen. Nach Ansicht der Nebenklagevertreterin konnten nur Insider wissen, dass das zweite Bett nicht belegt war und das Opfer nicht schreien, klopfen oder sich anderweitig äußern konnte. Warum habe der Angeklagte schon vor Bekanntwerden, dass im Heim Brandstiftung vorlag, diese Möglichkeit und den Geruch eines Brandbeschleunigers ins Spiel gebracht? Warum habe er mit einer Durchsuchung gerechnet? In Summe rechtfertigen alle Antworten laut Silke Hagenmeier nur den Schluss, dass der Angeklagte für diese Taten verantwortlich ist. Neben dem Motiv, dass er sich in Notsituationen gut fühlte, habe er mit dem Desinfektionsfläschchen auch einen Brandbeschleuniger zur Hand gehabt und eine Gelegenheit, die Tat zu begehen. Damit sei er der Brandstiftung überführt.

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Autor:

Chris Heinemann aus Bretten

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