Altenpflege vor dem Kollaps
Gemeinnützige Träger überreichen Neun-Punkte-Papier mit Forderungen
Neulingen-Bauschlott (ger) „Wir wollen nicht warten, bis das Kind noch weiter in den Brunnen gefallen ist“, begründete Peter Mayer, Vorsitzender des Sozialwerks Bethesda, die Initiative „Runder Tisch Pflege“. Fünf gemeinnützige Träger von Pflegeheimen aus dem Enzkreis hatten sich im Frühjahr zusammengefunden und gemeinsam ein Neun-Punkte-Papier mit Forderungen formuliert, die den Bereich Pflege „konstruktiv“ davor bewahren sollen, Rückschritte zu machen, wie Mayer erklärte. Am Montag, 22. Oktober, wurde dieses Papier im Haus Bethesda in Bauschlott den anwesenden Vertretern aus Politik, Verbänden und Behörden überreicht.
Frustration in den Einrichtungen
Man merke täglich die Frustration in den Einrichtungen, brachte es Joachim Hessler auf den Punkt. Der Geschäftsführer der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG), der auch über 600 Pflegeeinrichtungen im Land angehören, schilderte, dass er tagtäglich erlebe, dass Pflegeheime wegen Personalmangel Stationen schließen müssten und sich mit weinenden, entsetzten Angehörigen konfrontiert sähen. „Die Einrichtungen stehen am Rande des Kollapses“, sagte er.
Dem Personalmangel mit Maßnahmen begegnen
Um dem Personalmangel zu begegnen, forderten die Verfasser des Neun-Punkte-Papiers daher eine ganze Reihe von Maßnahmen. Wegfallen sollten Vorgaben zu Fachkräfteschlüsseln und Quoten, stattdessen solle den Einrichtungen ein Organisationsspielraum ohne staatliche Überregulierung zugebilligt werden. Auch die Ausbildungswege und die Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf bedürften dringend einer bundesweiten Vereinheitlichung und Orientierung an der Realität. So brechen laut Hessler bis zu 50 Prozent der Pflegeschüler die dreijährige Ausbildung ab oder schaffen die Prüfung nicht. Sie haben aber derzeit nicht einmal die Option, als Pflegehelfer mit einjähriger Ausbildung anerkannt zu werden.
Dem Zuzug von Pflegekräften aus dem Ausland müsse, so ist es in dem Papier formuliert, deutlich erleichtert werden. Auch müsse die Anerkennung der Abschlüsse ausländischer Pflegekräfte vereinfacht werden. Weiter fordern die Träger, dass Asylsuchende, die Pflegehelfer in Ausbildung oder in Arbeit sind, dies als Duldungsgrund anerkannt bekommen.
Arbeit wird erschwert durch Bürokratie und Überregulierung
Bürokratie, Überregulierung und sich widersprechende Gesetze auf Länder und Bundesebene würden die Arbeit in den Einrichtungen erschweren. Konkret verlangen die Träger zum Beispiel den Wegfall der Doppelprüfung durch Medizinischen Dienst und die Heimaufsicht sowie eine Beschränkung auf die Festlegung baulicher Mindeststandards. Peter Mayer führte hierbei an, dass allein 40 Euro pro Tag an Investkosten für einen Heimplatz zu Buche schlügen. „Und da ist noch kein Handstreich Pflege getan“, fügte er hinzu.
Mehr Eigenverantwortlichkeit
Den Fachkräften wieder mehr Eigenverantwortlichkeit zuzugestehen, sehen die Träger als eine weitere Notwendigkeit an. Nach „aktueller Prüf-Logik der Aufsichtsbehörden“ wäre es zum Beispiel „ein schweres Vergehen“, wenn ein Bewohner mit leichten Schmerzsymptomen ein nicht verschreibungspflichtiges Medikament verabreicht bekäme.
"Absurdität pur"
Der Forderung, die „destruktiven Auswüchse der Leiharbeit in der Pflege“ einzudämmen, schloss sich die Sozialdezernentin des Enzkreises Katja Kreeb an. Sie erlebe immer wieder „die Absurdität pur“, dass Menschen kündigen und mit einem Leiharbeitsvertrag, mit dem sie finanziell besser dastünden, an die gleiche Stelle zurückkehren. „Das treibt einem wirklich die Tränen in die Augen“, gestand Kreeb ein. Dass es keine weiteren kommerziellen Träger mehr geben solle, wie im Papier gefordert, sei, so Kreeb, bei dem immer weiter steigenden Bedarf aber nicht zu ermöglichen. Eine Forderung sei im Enzkreis bereits umgesetzt, nämlich die Pflegesatzverhandlungen durch den Landkreis.
Landes- und Bundesgesetze kommen sich in die Quere
Die anwesenden Vertreter aus der Politik nahmen das Papier entgegen. Die FDP-Landtagsabgeordneten Hans-Ulrich Rülke und Erik Schweickert versprachen, die Forderungen an die entsprechenden Stellen auf Bundes- und Landesebene weiterzuleiten und in zwei bis drei Wochen dazu Stellung zu nehmen. SPD-Kreisrat Hans Vester verwies auf Gesetzgebungen, die das SPD-geführte Bundesgesundheitsministerium angestoßen habe, was Gabriele Weber vom Caritasverband, einem der Mitunterzeichner, scharf kritisierte, indem sie darauf hinwies, dass die Gesetzgebung meist knapp an der Realität vorbeigehe. „Vieles können wir nicht umsetzen, zum Beispiel weil das Landesgesetz das Bundesgesetz aushebelt.“ Eine Verbesserung sei schwer, man müsse wenigstens versuchen, den Stand zu halten in der Pflege. Hasan Özer, Grünen-Kreisrat, räumte ein, dass die Politik trotz des Wissens um den demographischen Wandel schlicht versäumt habe, hier den großen Hebel anzusetzen, und gelobte Besserung.
Autor:Katrin Gerweck aus Bretten |
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