„Alle therapeutischen Möglichkeiten ausschöpfen“ - Neurologen berieten am Welt-Parkinson-Tag

Die Lebensqualität von Menschen mit Parkinson hängt entscheidend von der Wirksamkeit der Medikamente ab, die den Dopaminmangel im Gehirn ausgleichen sollen. | Foto: Fotolia, Naeblys
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Die Lebensqualität von Menschen mit Parkinson hängt entscheidend von der Wirksamkeit der Medikamente ab, die den Dopaminmangel im Gehirn ausgleichen sollen.

pr-nrw. Die Lebensqualität von Menschen mit Parkinson hängt entscheidend von der Wirksamkeit der Medikamente ab, die den Dopaminmangel im Gehirn ausgleichen sollen. Während viele Patienten zu Beginn der Therapie medikamentös gut eingestellt und entsprechend beweglich sind, kommt es im späteren Verlauf oft zu Wirkungsschwankungen und anderen Nebenwirkungen der Medikation. Zusätzlich schreitet auch die Erkrankung weiter fort, sodass der Therapieplan früher oder später überprüft und bei Bedarf umgestellt werden muss. Welche Alternativen bei nachlassender Wirkung der Medikamente verfügbar sind, welche Nebenwirkungen der Medikation auftreten können und wie Patienten auch bei fortgeschrittener Erkrankung beweglich bleiben, dazu informierten Experten am Lesertelefon in Zusammenarbeit mit der Deutschen Parkinson Vereinigung. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Warum verlieren die Medikamente an Wirksamkeit und kann man das durch eine erhöhte Dosierung ausgleichen?
Prof. Dr. Candan Depboylu: Der Schein trügt. Es ist nicht die nachlassende Wirksamkeit der Medikamente, die zu einer Verschlechterung der Symptome führt, sondern das Voranschreiten der Erkrankung. Das heißt: Der Dopaminmangel nimmt zu und die Reaktion des Gehirns auf die Medikamente verändert sich im Laufe der Zeit. Das kann mit einer Anpassung oder Umstellung der Medikation behandelt werden. Keinesfalls sollten Sie eine Anpassung eigenmächtig vornehmen, sondern immer nur in Abstimmung mit dem behandelnden Neurologen.

Wie häufig sollte die Medikation überprüft und neu eingestellt werden?
Prof. Dr. Michael Barbe: Generell sollten Patienten alle drei bis sechs Monate ihren Neurologen aufsuchen. In der Frühphase der Erkrankung kann es sein, dass Sie auch längere Zeit ohne Anpassung oder Umstellung der Medikation zurechtkommen. Werden Medikamente umgestellt, soll eine engmaschigere Verlaufskontrolle stattfinden, um die Wirkung beurteilen und Nebenwirkungen behandeln zu können. Treten plötzlich neue oder verstärkte Symptome auf, sollten Sie Ihren Neurologen sofort aufsuchen.

L-Dopa gilt als das am besten wirksame Medikament. Warum will mein Arzt mit der Verordnung noch warten?

Prof. Dr. Rüdiger Hilker-Roggendorf: In der Tat verfügen wir mit L-Dopa über das Medikament mit der stärksten Wirkung auf die Parkinson-Symptome. Es gibt allerdings gut begründete wissenschaftliche Hinweise darauf, dass bei Krankheitsbeginn zunächst ein zurückhaltender Einsatz von L-Dopa für den weiteren Krankheitsverlauf von Vorteil sein kann. Dadurch kann das Auftreten von so genannten motorischen Komplikationen, zum Beispiel Überbewegungen durch Wirkschwankungen der Medikamente, vermindert werden. Das gilt insbesondere für Patienten, die bereits im jüngeren Lebensalter erkranken.

Ich nehme L-Dopa, das bisher gut geholfen hat. Nun nehmen die Wirkungsschwankungen zu und ich bin schnell wieder unbeweglich…
Prof. Dr. Dirk Woitalla: Die Therapie mit L-Dopa erfordert eine sehr bewusste Abwägung der Vor- und Nachteile. L-Dopa hat eine kurze Halbwertszeit, wodurch die Wirkung nach drei bis vier Stunden nachlässt. Mit der Zeit benötigt der Patient häufigere Einnahmen und höhere Dosen. Um dies zu vermeiden, kann ein Dopaminagonist eingesetzt werden und die Dosis des L-Dopa so niedrig wie möglich gehalten werden. Außerdem ist zu prüfen, ob L-Dopa zu psychischen Veränderungen führt – dann leiden Patienten besonders stark unter dem Gefühl der nachlassenden Wirkung. Durch Enzyme, die den Abbau von L-Dopa hemmen, kann zudem seine Wirkung verlängert werden. Diese so genannten COMT- oder MAO-Hemmer könnten in Ihrem Fall eine erste Maßnahme sein.

Bei mir wirken die Medikamente „zu gut“, was zu unkontrollierbarem Zucken und Grimassen führt. Was hilft dagegen?
Prof. Dr. Wolfgang Greulich: Solche Überbewegungen treten typischerweise nach mehrjähriger Behandlung mit Parkinson-Medikamenten, insbesondere L-Dopa-Präparaten, auf. In der Regel sind die Beschwerden in den Phasen der stärksten Medikamentenwirkung am deutlichsten und gehen mit nachlassender Medikamentenwirkung zurück. Zur Behandlung dieser so genannten Peak-of-Dose-Dyskinesien steht der Wirkstoff Amantadin zur Verfügung. Seltener, aber besonders unangenehm sind krampfartige Überbewegungen. Sie treten vor allem in den frühen Morgenstunden auf und betreffen meist Beine oder Füße. Ursächlich ist ein zu niedriger L-Dopa-Spiegel, der durch eine Dosisanpassung korrigiert werden kann. Gehen die Dyskinesien trotz Anpassung der Medikation nicht zurück, kann die Tiefenhirnstimulation als alternative Behandlungsmethode erwogen werden.

Meine Schwierigkeiten beim Ein- und Durchschlafen nehmen zu, dafür bin ich tagsüber völlig gerädert. Hängt das mit den Medikamenten zusammen?
Dr. med Pantea Pape: In der Regel hängen Ein- und Durchschlafstörungen nicht mit der Medikation zusammen. Sie sind vielmehr ein nicht-motorisches Symptom der Erkrankung selbst. Wichtig ist, dass Sie schlafregulierende Maßnahmen einhalten, zum Beispiel eine feste Tagesstruktur, moderate körperliche Aktivität am Nachmittag, ein beruhigendes Bad in den Abendstunden. Gehen Sie abends erst zu Bett, wenn Sie auch wirklich müde sind und bleiben Sie bei nächtlichem Erwachen nicht im Bett liegen. Stehen Sie auf, beschäftigen Sie sich und gehen Sie erst wieder ins Bett, wenn Sie müde sind. Oft ist auch ein 30- bis 45-minütiger Schlaf um die Mittagszeit hilfreich. Wenn all das nicht hilft, sprechen Sie mit Ihrem Neurologen über die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung.

Meine Apotheke will mir nicht die bisherigen Medikamente aushändigen, sondern gleichwertige. Kann ich das ablehnen?
Magdalene Kaminski: Das können Sie! Der Apotheker ist zwar verpflichtet, Medikamente gemäß der Rabattverträge mit Ihrer Krankenkasse anzubieten, sie müssen das aber nicht akzeptieren. Um Ihr gewohntes Medikament zu erhalten, sollten Sie entweder selbst mit Ihrem behandelnden Arzt sprechen oder den Apotheker bitten, dies zu tun. Ihr Arzt kann auf dem Rezept vermerken, dass Sie nur das von ihm verordnete Präparat erhalten. Oftmals kommt es dabei zu Diskussionen, aber es lohnt sich, hartnäckig zu bleiben.

Können Wirkungsschwankungen auch mit den Essgewohnheiten zusammenhängen?

Prof. Dr. Rüdiger Hilker-Roggendorf: Das ist durchaus möglich. Die Aufnahme von L-Dopa über die Darmschleimhaut kann durch Abbauprodukte von Eiweißen – so genannte Aminosäuren – gehemmt werden, was die Wirkung des Medikamentes mindert. Eiweiße sind jedoch in vielen Nahrungsmitteln enthalten. Deshalb sollten Patienten mit Wirkschwankungen der Tabletten einen zeitlichen Abstand von mindestens einer Stunde zwischen der Aufnahme eiweißhaltiger Gerichte wie zum Beispiel Fisch und der Einnahme der Medikamente einhalten.

Mein Arzt will die Medikation auf einen Dopamin-Agonisten umstellen. Nun habe ich gelesen, dass diese Medikamente Halluzinationen und Spiel- oder Kaufsucht auslösen können. Stimmt das?

Prof. Dr. Candan Depboylu: Prinzipiell ist diese Befürchtung richtig, diese Art von unerwünschten Nebenwirkungen tritt jedoch bei den meisten Patienten nicht bereits zu Beginn der Therapie auf. Kommt es irgendwann doch dazu, kann über die Dosierung eine Besserung erreicht werden oder ein Gegensteuern mit einer zusätzlichen Medikation – ein atypisches Neuroleptikum – versucht werden.

Begünstigt Parkinson – oder die Einnahme der Medikamente – das Auftreten einer Demenz?
Prof. Dr. Wolfgang Greulich: Schon zum Zeitpunkt der klinischen Diagnose „Parkinson“ haben etwa 20 Prozent der Betroffenen leichte kognitive Einschränkungen. 10 Jahre nach der Diagnose wird bei der Hälfte aller Patienten eine Demenz festgestellt. Die heute zur Anwendung kommenden Parkinsonmedikamente begünstigen zwar diesen Verlauf nicht, sie können ihn aber leider auch nicht aufhalten. Zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Demenzformen ist ein Therapieversuch mit dem auch als Pflaster zur Verfügung stehenden Wirkstoff Rivastigmin möglich.

Ich habe zunehmend Schwierigkeiten, die Medizin zu schlucken – und es werden immer mehr Pillen! Was sind mögliche Alternativen?
Prof. Dr. Dirk Woitalla: Es existieren mehrere Möglichkeiten, die orale Einnahme von Medikamenten zu reduzieren, zum Beispiel die Anwendung eines Medikamentenpflasters, der Einsatz einer Medikamentenpumpe oder – als operatives Verfahren – die Tiefenhirnstimulation. Aber auch die Verordnung so genannter Retardpräparate oder der Einsatz von Hemmern der abbauenden Enzyme können eine wertvolle Hilfe sein, da sie die Gesamtzahl der Tabletten reduzieren. Welches dieser Therapieverfahren geeignet ist, muss individuell und nach sorgfältiger Abwägung entschieden werden, aber es sollten immer alle therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden.

Wann ist die Tiefe Hirnstimulation eine Alternative zu Medikamenten?

Prof. Dr. Michael Barbe: Wenn Patienten über Wirkungsschwankungen klagen und diese mit einer Anpassung der Medikation nicht in den Griff zu bekommen sind, kann eine THS erwogen werden. In einer Studie mit Patienten unter 60 Jahren und frühen Wirkschwankungen, die sehr gut auf L-Dopa ansprachen hat sich gezeigt, dass die THS weiteren medikamentösen Therapieversuchen überlegen ist. In diesen Fällen kann eine Operation auch früher als bisher in Frage kommen. Unabhängig vom Krankheitsstadium ist die THS eine sehr gute Behandlung bei einem Tremor, der nicht gut mit Medikamenten zu behandeln ist. Wichtig ist, dass sich Patienten mit Wirkschwankungen so früh wie möglich zu allen Therapieangeboten beraten lassen.

Autor:

Christian Schweizer aus Bretten

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