Teilhabe mit Unterstützter Kommunikation
Mit den Augen sprechen
Wie war‘s im Urlaub? Diese häufig gestellte Frage können die meisten Menschen ohne Probleme spontan beantworten und ist meist der Einstieg in eine nette Konversation unter Freunden, Bekannten oder Kollegen. Was aber, wenn man viel erlebt hat, es aber niemanden erzählen kann? Weil man weder sprechen noch die Hände zu Hilfe nehmen kann? Christian Walter beantwortet diese Frage allein mit seinen blaugrauen, sanften Augen. Und das geht so: Der Blick des jungen, zierlichen Mannes gleitet konzentriert über die Bildschirmoberfläche seines Computers und fixiert eines der vielen Farbfelder, die dort zu finden sind. Sie sind beschriftet, etwa mit „Über mich“ oder „Fotos aus dem Urlaub“. Auf Letzterem bleibt sein Blick haften. „Wir waren in Oberstdorf im Urlaub“, sagt plötzlich eine angenehme männliche Stimme. „Dort war bis in die Nacht hinein offenes Straßensingen“. Aber das ist nicht Christians Stimme und sie klingt auch älter. Die Stimme kommt aus einem Sprachcomputer, genauer: einem Sprachausgabegerät mit dynamischem Display, das an seinem Rollstuhl befestigt ist.
Detektivisches Feintuning
Christian wird in der Förder- und Betreuungsgruppe (FUB) der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten e. V. betreut. Dort erhalten Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf ein tagesstrukturierendes Angebot. Zweimal in der Woche kommt für eine Stunde Anja Göttsche vorbei, Fachpädagogin für Unterstützte Kommunikation - kurz UK genannt - und Akademische Sprachtherapeutin. Dann arbeitet sie intensiv mit Christian. Der 25-Jährige ist spastisch gelähmt aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung, wie Anja Göttsche berichtet. Das Sprachausgabegerät bekam Christian vor acht Jahren und muss nun seine Steuerung und Sprache erst nach und nach erlernen. Ein Dialog im normalen Sprachtempo funktioniert daher noch nicht. Zu erfahren, was der junge Mann fühlt, was er gerade braucht oder wie er das Wochenende verbracht hat, benötigt sehr viel Zeit und Geduld – auf beiden Seiten. Und: Man muss sehr viel Hintergrundwissen über sein soziales Umfeld, seine Interessen und Vorlieben haben. Es ist wichtig, ihn länger zu kennen, um seine Mimik und seine Laute richtig deuten zu können. Das alles kann Anja Göttsche, die Christian seit sechs Jahren besucht. „Ich mache detektivisches Feintuning, indem ich das, was in ihm drin ist nach außen bringe“, beschreibt die Therapeutin ihre Funktion.
Pizza bestellen mit den Augen
Und wie funktioniert die Augensteuerung? Eine im Sprachausgabegerät integrierte Kamera erfasst Christians Augenbewegungen und wandelt diese in einen Mauszeiger um. Mit dieser Technik hat er nun die Möglichkeit, sich durch die einzelnen Programme und Dateien zu klicken, die als bunte Buttons auf dem Bildschirm angeordnet sind. Hier sind Grundbedürfnisse, allerlei Fragen, Hörbücher, Spiele, Symbole, Videos und vieles mehr zu finden. Oft stellt die Familie bebilderte Berichte über gemeinsame (Wochenend-)Erlebnisse her, wie den Besuch in der Allianz-Arena - Christian ist ein großer Bayern-Fan - oder eines Konzertes. Außerdem liebt er die Kirche. Es sind einige religiöse Lieder auf seinem Computer gespeichert, die dort abgerufen und so zu Gehör gebracht werden können.
Überhaupt ist der Sprachcomputer sehr vielseitig: So lassen sich Dinge wie Locher, Schredder oder Spitzer anschließen, die dann mittels Augensteuerung bedient werden können. Aber auch Gedichte oder Fürbitten, die Christian zusammen mit Anja Göttsche oder seiner Mutter verfasst hat, sind dort zu finden. Die Fürbitten hat er selbst im Gottesdienst mit Hilfe seines Sprachcomputers vorgetragen. Und auch sein Essen kann er, wenn er tagsüber in der Lebenshilfe ist, selbst auswählen und bei der dortigen Küche bestellen – alles per Augensteuerung. Wenn es zuhause zum Lieblingsitaliener geht, kann er schon vorher die Speisekarte einsehen und sich überlegen, worauf er Lust hat und das im Restaurant mittels Technik äußern.
So erstellt Anja Göttsche sukzessive für und in Absprache mit Christian unterschiedlichste Inhalte und bereitet sie medial auf. Immer mehr bunte Felder erscheinen auf seinem Bildschirm und er kann über eine immer größer werdende Bandbreite an Themen mit seinem Umfeld kommunizieren.
UK wird in der Lebenshilfe ausgebaut
„UK ist noch neu in vielen nachschulischen Einrichtungen. In Ausbildungsgängen wie der Heilerziehungspflege o. ä. ist UK nicht ausreichend genug Thema des Unterrichts“, berichtet Dominik Pfeiffer, Fachberater für Unterstützte Kommunikation in der Lebenshilfe Bruchsal-Bretten. Aber dieses Thema wird dort nun mit der neu eigenrichteten Fachstelle für UK ausgebaut werden.
Bevor Christian zur Lebenshilfe kam, hatte er schon einen Sprachcomputer, aber leider funktionierte dieser nicht richtig, da seine Augenabstände nicht exakt auf das Gerät angepasst waren. Die Kommunikation beschränkte sich auf Bilder und Zeichen oder war auf einen Ja /Nein-Code reduziert. „Man dachte, das sei alles, was er zu sagen hat“, erzählt Anja Göttsche. Eine fatale Fehleinschätzung, wie die Sprachtherapeutin heute weiß: „Ich glaube Chrisi hat eine äußerst umfangreiche innere Sprache“.
INFO-POINT
Unterstützte Kommunikation bezeichnet pädagogische oder therapeutische Maßnahmen, um kommunikative Möglichkeiten von Menschen zu erweitern, die nicht oder kaum über Lautsprache verfügen. Beispiele sind die Einführung von Bild- oder Symbolkarten oder Kommunikationstafeln zur Verständigung, Sprachausgabegeräte oder die Ergänzung der Lautsprache durch das Gebärden von Schlüsselwörtern.
Über die Möglichkeiten der Unterstützten Kommunikation informieren unabhängige Beratungsstellen. Diese sind auf der Internetseite der Gesellschaft für Unterstützte Kommunikation gelistet, unter: www.gesellschaft-uk.de Das Forum CLUKS bietet unter www.cluks-forum-bw.de Infos über elektronische und nicht elektronische Unterstützungsmöglichkeiten und den Austausch mit Angehörigen und Experten. Selbsthilfeforen finden sich auch auf Facebook unter „unterstützte Kommunikation“ (offene Gruppe) und „Unterstützte Kommunikation (UK)“ (geschlossene Gruppe). Zudem gibt es den Pädagogischen Fachdienst für Sprache und Kommunikation in Graben-Neudorf/Tel. 07255/765859-0
Autor:Claudia Schuler aus Region |
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